Seselmesser

Das Sesel  

Ein uraltes Winzergerät, das den Hainfeldern ihren Namen gab.

(von Helmut Husenbeth)

SeselDas „Seselmesser“ – der Name ist vom lateinischen „sicilis“ abgeleitet – ist ein uraltes, über die Jahrtausende hinweg gebrauchtes, früher absolut unverzichtbares und kaum verändertes Werkzeug der Winzer. Es wurde sowohl zum Schneiden der Reben im Winter, zum „Laubschneiden“ im Sommer wie zur Lese der Trauben im Herbst gebraucht und begleitete so den Winzer durch das Jahr. Früher, als man der Tradition folgend, die Reben erst nach „Mariä Lichtmeß“, also nach dem 2. Februar schnitt, gab es den Spruch: „Lichtmeß, Spinnen vergess!, Sesel in die Hand, in de Wingert gerannt!“

Das „Sesel“, anderswo auch einfach „Rebmesser“, „Reber“ (Südtirol) oder „Krummmesser“ (Mosel) genannt, besteht aus einer sichelförmig gebogenen Schneide aus geschmiedetem Eisen oder gezogenem Stahl und einem festen, gedrechselten Griff aus Holz, der gut in der Hand liegen muss. Wertvollere Seselmesser hatten gar einen Griff aus Horn oder aus gelbem Buchsbaum. Griff wie Schneide konnten Verzierungen tragen und waren der Stolz der Weinbauern. Zeitweise wurde ein regelrechter Kult mit den Winzermessern getrieben.

Sichelförmige Messer sind bereits für die Bronzezeit nachgewiesen. Die Etrusker, die schon Wein angebaut haben, kannten dieses Werkzeug. Die keltischen Druiden haben zu kultischen Zwecken mit Sichelmessern Mistelzweige aus den Bäumen geschnitten.

Das „Sesel“ – wie es hierzulande kurz genannt wird – finden wir auch schon in der Bibel erwähnt. In seiner großen Friedensvision sagt der Prophet Jesaja, der von etwa 740 bis 701 vor Christus lebte und auf ältere Texte zurückgriff: „Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen.“ (Jes. 2, 4) In seiner Apokalypse sagt der Seher von der Insel Patmos, Johannes, über „die Stunde der Ernte“: „Schick deine scharfe Sichel aus, und ernte die Trauben vom Weinstock der Erde. Seine Beeren sind reif geworden“. (Offb. 14, 18b) Johannes bezieht sich damit seinerseits auf den Propheten Joel wie auf Jesaja.  Martin Luther übersetzt die Stelle aus der Apokalypse mit „scharfes Winzermesser“ durchaus richtig. Den Begriff „Sesel“ hat er nicht gekannt.

Auch die frühen Griechen kannten das Seselmesser, wenn auch in etwas anderer Form. Am Rücken der sichelförmigen Schneide befindet sich ein beilförmiger bzw. hammerartiger Fortsatz. Diese etwas größeren Winzermesser werden heute noch benutzt. Ich habe sie sowohl auf der Insel Kreta wie auch auf Samos in der Ostägäis in Gebrauch gesehen. Auf Ikonen des jugendlichen Heiligen Triphon ist regelmäßig dessen Attribut, eben die griechische Form des Seselmessers zu sehen, das er in seiner Hand hält.

Da diese griechische Form des Rebmessers in früher Zeit auch für die Pfalz nachweisbar ist, nimmt Friedrich von Bassermann-Jordan an, der pfälzische Weinbau sei griechischen bzw. gallo-römischen Ursprungs, also über das griechische Massalia (= Marseille) das Rhonetal aufwärts zum Oberrhein und schließlich in die linksrheinischen Gebiete gekommen.

Mit den Griechen und über ihre Kolonien und Gründungen hat sich das Rebmesser ausgebreitet, sowohl nach Nordafrika wie nach Kleinasien, nach Unteritalien und nach Südeuropa. Die Römer haben das Seselmesser als vielseitig zu benutzendes Werkzeug geschätzt. In Südfrankreich, insbesondere an der Rhone, der Loire und in Burgund, werden industriell gefertigte sichelförmige Winzermesser bis heute benutzt. Auch bei donauschwäbischen Weinbauern in Ungarn ist mir das Sesel begegnet.

Seselförmige Winzermesser aus römischer Zeit gibt es sowohl mit spitzem Griffende – das dann von Holz umschlossen wurde, wie auch mit Tülle zum Aufstecken auf einen längeren Stiel, wohl zur Arbeit an der Baumrebe oder im Pergelbau verwendet. Die römischen Winzermesser, für die in den Quellen verschiedene Bezeichnungen auftauchen (serrula, scirpicula, falx, falx putatoria, falcula, sicilis), waren in Größe und Form der jeweiligen Arbeit angepasst. Grundsätzlich wurden größere und stärker gebogene Messer für schwerere Arbeiten, kleinere und manchmal nur leicht gebogene Messer für leichtere Arbeiten verwendet. Klar war aber, dass es zu einem guten Winzer gehörte, ein Sesel im Hosensack bei sich zu haben. Schließlich gab und gibt es Seselmesser auch als klappbares Taschenmesser.

Häufig sind auf römischen Darstellungen Winzermesser zu sehen. Auf dem Götterstein des Silvanus (3. Jhdt. nach Christus), des römischen Gottes für Wald und Wein, der im Speyrer Weinbaumuseum steht, hält Silvanus ein Winzermesser – allerdings der griechischen Form – als Attribut.

Das Sesel taucht auch in unserer Heimat nicht nur als Werkzeug auf, es findet sich auch immer wieder als Symbol des Winzerstandes in Steinmetzarbeiten, so vor allem in Torschlusssteinen alter Winzerhöfe. Auch in Hainfeld finden wir schöne Darstellungen, so z.B. in einem Wappenstein von 1711 zwei gekreuzte Seselmesser unter einer Traube und den Initialen A H an einem Winzerhaus „Am Schlossberg“; ein anderes Sesel, kombiniert mit Traube und Küferwerkzeugen in einem Torbogen-Schlussstein an der Weinstraße. Auch in Rhodt, Edenkoben, St. Martin und anderen Winzerdörfern finden sich interessante Beispiele.

Hainfelder Kerwe 2007 360Warum nun bezeichneten die Bewohner umliegender Dörfer die Hainfelder früher – und manchmal vielleicht noch heute – als die „Seselmesser“ oder gar die „Seselmörder“? Während des niederländischen Krieges Ludwigs XIV. im Jahr 1673 – so berichtet im IX. Band des „Theatrum Europaeum“, Frankfurt am Main 1682 –  seien „zu Hainfeld am Gebürg im Stifft Speyer“ vier französische Offiziere ins Wirtshaus gekommen. Es gab Händel und Auseinandersetzungen und Hainfelder Winzer hätten ihnen „die Hälse abgeschnitten“. Auch anderswo gab es wohl heftige Auseinandersetzungen, die teilweise mit dem Seselmesser ausgetragen wurden. So soll es bei Gleisweiler eine regelrechte „Seselschlacht“ gegeben haben – eine Auseinandersetzung mehrerer Dörfer um Weiderechte. Die restaurierten Sühnekreuze und ein gotischer Bildstock mit einem Seselmesser sind noch zu sehen.

Heute ist das Seselmesser längst von der Rebschere und inzwischen auch vom pneumatischen Rebschneider ersetzt – es hat aber historischen und damit auch emotionalen Wert, gerade für die Hainfelder. Als Emblem ist es übrigens in das Wappen der Verbandsgemeinde Edenkoben eingegangen.

Wappen VG Edenkoben